Bernd Fischer (Einbach)
Im Jahre 1251 teilt der edle Konrad von Dürn seine Herrschaft unter seinen Söhnen. Der Erbschaftsvertrag wird nicht nur mündlich in Anwesenheit einer großen Anzahl von Zeugen abgeschlossen, sondern wie es damals üblich geworden war, fertigte man eigens darüber eine schriftliche Urkunde in lateinischer Sprache an, und die beiwohnenden Angehörigen des hohen Adels beglaubigten sie zur Sicherheit mit ihrem Siegel. Die Zeugenreihe wird vom Ranghöchsten, Bischof Hermann von Würzburg angeführt. Ihm folgen Graf Gottfried von Hohenlohe, der Edle Kraft von Boxberg, Graf Siboto von Rieneck. Dann schließt sich die Schar der Dienstleute des Konrad an, unter ihnen „Marquardus de Scherringen“1.
Seit der Zeit Karls des Großen sind fast 500 Jahre vergangen, bis wieder ein Schriftstück auf uns gekommen ist, in dem der Name Scheringen genannt ist.
Wenden wir uns zuerst Konrad von Dürn zu, der in einem weiten Raum vom Neckar bis an den Main Herrschaft ausübte: Die Herkunft der edelfreien Familie von Dürn liegt im Dunkeln. Der Aufbau ihrer Herrschaft mit dem Zentrum Dürn (Walldürn) vollzog sich zu einer Zeit, als mündliche Rechtshandlungen als ausreichend sicher galten. Deshalb sind diese Vorgänge heute nicht mehr fassbar.
Rupert I. von Dürn ist der erste aus der Familie, den wir kennen. Er wird erstmals 1171 in einer Urkunde Kaiser Friedrich Barbarossas in der Zeugenreihe genannt.
Dieser Rupert von Dürn war ein bedeutender Mann. In fast 150 Urkunden der Kaiser Friedrich Barbarossa und dessen Sohn Heinrich VI. ist er als Zeuge genannt. So wissen wir, dass er sich in deren Umgebung aufhielt und dem Kaiser durch ganz Deutschland, Italien und Burgund folgte. Er gehörte zum engeren Beraterkreis der Stauferkaiser. In dieser engen Beziehung zum Kaiserhaus muss auch der weitere dynamische Ausbau seiner Herrschaft im Odenwald und Bauland, am Neckar und am Main gesehen werden. Viele Historiker gehen davon aus, dass Rupert I. von Dürn auf dem Reichstag, den Friedrich Barbarossa 1168 in Würzburg abhielt, dort vom Kaiser mit der Schutzherrschaft über das Kloster Amorbach betraut wurde. Diese Klostervogtei bildete für seine Familie einen Schwerpunkt der künftigen Herrschaft.
Daneben trug auch beträchtliches Eigengut zu seiner Macht bei. Vom Stammsitz Walldürn aus waren auf ausgedehnten Rodungsflächen zahlreiche Dörfer angelegt, und so war eine solide Wirtschaftsgrundlage aufgebaut worden.
Hinzu kamen als Lehen vom Reich die Hochgerichtsbarkeit über den größten Teil des Raumes. Neumaier geht davon aus, dass schon mit der Klostevogtei die „Untere“ Cent Amorbach und die „Obere“ Cent Mudau an Rupert gelangten. Dazu verwaltete er noch die Centen Buchen, Walldürn und Osterburken.
Während Ruperts Leben nur durch seine Zeugenschaft bei Kaiser- und Bischofsurkunden schemenhaft erkennbar wird, – in seinen Kreisen setzt sich die schriftliche Beurkundung von Rechtsgeschäften nur sehr zögernd durch -, tritt uns sein Enkel Konrad I. ab 1222 in einer immer größer werdenden Zahl eigener Urkunden zunehmend deutlicher entgegen.
Durch seine Heirat mit einer Erbtochter des letzten Grafen von Lauffen wird das Familiengut der Dürn um beträchtlichen Besitz vor allem an Neckar, Jagst und Kocher erweitert. Konrad bemüht sich nicht mehr so sehr um eine enge Bindung an das stauffische Kaiserhaus wie sein Großvater, dafür kümmert er sich um so intensiver um einen zeitgemäßen Ausbau und eine Sicherung der inneren Herrschaft seines über eine große Fläche verbreiteten Besitzes an vielgestaltigen Rechten.
Als wichtigster Sitz seiner Familie, als sicherer Wehrbau und als Verwaltungszentrum vollendet er die von seinem Großvater begonnene Burg Wildenberg und gestaltet sie zu einem Prachtbau. Zu den bereits bestehenden Burgen Möckmühl und Forchtenberg fügt er noch Rippberg2.
1236 stiftet er das Zisterzienserinnenkloster Seligental bei Schlierstadt als Hauskloster und als Grablege für sein Geschlecht. So vervollständigt er das Programm, das für die Darstellung der Herrschaft seines Standes damals ein „Muss“ war.
Ein weiterer zukunftsweisender Versuch Herrschaft im Sinne des 13. Jh. modern zu organisieren, war die Gründung von Städten. In Norditalien hatte der deutsche Adel erfahren müssen, welche Wirtschaftskraft Städte zu entwickeln vermochten und welche Machtkonzentration durch ihre Entstehung aufgebaut werden konnte. Konrad nutzte auch diese Erfahrungen zur Stützung seiner Macht und zum Ausbau einer mehr auf die Fläche hin orientierten Herrschaft. Mit dem Befehl das Dorf beim Kloster Amorbach zu befestigen, in dem er dessen Einwohner mit mehr Rechten und größeren Freiheiten ausstattete, einen Markt einführte, sowie Zollstätte und Gericht aufrichtete, erhob er diese Siedlung zur Stadt. Diese Entwicklung war 1253 kurz vor seinem Tod abgeschlossen. Seine Erben nutzten diese Möglichkeit zum Herrschaftsausbau weiter. So entstanden auf ihrem Territorium die Städte Neudenau vor 1263, Möckmühl vor 1270, Buchen vor 1280, Walldürn vor 1291 und Forchtenberg vor 1298.
Die Herrschaft der Dürn aber war traditionell lehensrechtlich aufgebaut. Konrads Macht stützte sich auf eine erhebliche Zahl von Ministerialen d. h. Dienstmannen. In Markwart von Scheringen tritt uns solch ein Dienstmann entgegen. Außer dem Namen wissen wir nichts über diese Person. Wir können uns aber ein ungefähres Bild von seinen Lebensumständen machen, wenn wir die umfangreicheren Nachrichten über andere Ministerialen der Dürn heranziehen. Die Edelfreien beriefen ihre Dienstleute aus dem unfreien Stand. Sie verpflichteten sie zur Kriegsfolge und bedienten sich ihrer in der Verwaltung des weitverbreiteten Besitzes, „Rat und Hilfe“ hieß das damals. Für diese Dienste statteten die Dürn ihre Ministerialen für eine bestimmte Zeit mit der Nutzung von Gütern und Rechten aus. Sie empfingen also von ihrem Herrn „Schutz und Schirm“. So war ein Großteil des dürnschen Besitzes an ritterliche Dienstmannen verliehen.
Das Leben im Dienste des Adels hob diese Schicht aus der Masse der grundhörigen Bauern heraus. Dem Beispiel ihrer Herren folgend, legten sie sich Geschlechternamen bei. Meist benannten sie sich nach dem Ort wo der Schwerpunkt ihrer Güter lag und wo sie ein festes Haus oder eine Burg bewohnten. Diese Besitzungen aber waren nicht ihr Eigentum, sondern ihr Lehen. Wie der Name sagt, waren sie ihnen nur verliehen. Später leitete sich daraus ein Erbanspruch ab, so dass die Lehen eigentumsähnlich in der Hand einer solchen Familie verblieben.
Ausgestattet mit übertragener Gewalt wurde ihnen von den Bauern ähnliche Achtung wie ihren adeligen Herren entgegengebracht. Am Ende dieser Entwicklung bildeten sie eine neue Schicht, dem Adel zugehörig.
Soweit diese Familien nicht ausstarben, denn als Angehörige des Ritterstandes übten sie auftragsgemäß einen risikoreichen Beruf aus, ging aus ihnen die Reichsritterschaft des 16. Jh. hervor. Kollegen unseres Markwart von Scheringen am Lehenshof der Edelherren von Dürn, die Rüdt von Rüdenau, die späteren Rüdt von Bödigheim und Collenberg sind ein sehr anschauliches Beispiel für die Entwicklung einer solchen niederadligen Familie. Begünstigt wurde der Aufbau ihrer recht ansehnlichen Herrschaften, die mehrere Dorfgemarkungen umfasste, mit dem machtpolitischen und wirtschaftlichen Niedergang ihrer Lehensherren, der Edelherren von Dürn. Der Ausverkauf der Dürn und endlich das Aussterben dieser Familie nutzten ihre Dienstmannen auf ihrem Dienstgut, das sie als Untervögte der Edelherren verwalteten, eigene Herrschaft aufzubauen.
Aus der Nennung des „Marquardus de Scherringen“ muss man schließen, dass die Edelherren von Dürn in diesem Dorf über umfangreichen Besitz verfügten. Die Dürn waren Lehensträger des Reiches und vom Kaiser waren sie auch mit der Schutzherrschaft über das reiche Kloster Amorbach betraut worden. Auch im Besitz von Lehensgut des Bischofs von Würzburg scheinen die Dürn gewesen zu sein. Mit welcher Art von Gut – Reichsgut, Klostergut oder Bischofsgut – Konrad seinen Dienstmann belehnt hatte, wissen wir nicht und welche Aufgabe dem Ministerialen in Scheringen überantwortet war, entzieht sich unserer Kenntnis. Auch das weitere Schicksal des Scheringer Ritters liegt für uns im Dunkel.
Auf welche Weise die Herrschaft der Edelherren von Dürn über unser Dorf schließlich in andere Hände überging, ist uns in Urkunden nicht überliefert. Das Erzstift Mainz kaufte die wichtigsten Herrschaftsteile, die die Dürn freigaben. Es waren vor allem die Städte und Centvororte mit den dazugehörigen Centen, die von den Mainzer Erzbischöfen zielgerichtet Zug um Zug erworben wurden.