Bernd Fischer (Einbach)
Die Herrschaft des Rupert von Dürn beruhte u.a. auf der Hochgerichtsbarkeit über den größten Teil unseres Raumes. Die Centen müssen Reichslehen gewesen sein. Möglicherweise schon mit der Klostervogtei sind die „Untere“ Cent Amorbach und die „Obere“ Cent Mudau an die Dürn gelangt1.
Der große Niedergang der Edlen von Dürn beginnt für uns in Urkunden erkennbar zu werden, als Konrads Sohn Ulrich III. von Dürn-Wildenberg 1271 seine Burg Wildenberg nebst den dazugehörenden Dörfern und Weilern Kirchzell, Buch, Preunschen, Donebach, Mörschenhardt, Schloßau und Mudau an den Mainzer Erzbischof Werner von Eppstein für 900 kölnische Mark verkauft.
Die Burg Wildenberg verliert durch den Verkauf ihren Residenzcharakter und sinkt unter dem neuen Besitzer zum wehrhaften Verwaltungssitz über die neuerworbenen Gebiete herab. Die Burg steht unter der Obhut eines sog. „Officiatus“, auch schlicht Burgmann oder Amtmann geheißen. Der Erzbischof berief ihn aus dem heimischen Adel. Er war verantwortlich für die bauliche Unterhaltung und die militärische Bereitschaft der Burganlage, vertrat auch den Bischof von Mainz in seinem Amtsbezirk.
Im Jahre 1303 wird Friedrich Schenk von Limpurg auf Lebzeiten gegen entsprechende Vergütung als Burgmann auf Wildenberg angenommen. Er verpflichtet sich, solange es erforderlich ist, in eigener Person und auf eigene Kosten in der Burg Wohnung zu nehmen.
Die Nachfolge der Dürn in der Herrschaft über die Cent Mudau war aber nicht unangefochten. Wir haben eine Urkunde2 aus dem Jahre 1310, in der Bischof Andreas von Würzburg den Schenken Eberhard von Erbach mit den Dörfern Mudau und Limbach zusammen mit dem Centgericht daselbst belehnt. Der Würzburger Bischof beanspruchte damit demonstrativ für sich die Centhoheit über die Dörfer um Mudau und Limbach und versuchte dem Vordringen des Erzstifts Mainz zu wehren.
Original der Urkunde über den Kauf der Dörfer Limbach, Scheringen, … und die Mudauer Cent durch das Erzstift Mainz.
Doch der überlegenen Finanzkraft der Mainzer war Würzburg nicht gewachsen. Im Jahre 1318 erlag der Lehensträger des Würzburger Bischofs dem Druck oder den Verlockungen von Mainz und verkaufte die Dörfer Limbach, Scheringen, Scheidental und Besitzungen in Reichenbuch, sowie das Gericht „Mudauer Cent“ für 300 Pfund Heller an den Mainzer Amtmann auf der Burg Wildenberg, Konrad gen. Rüdt.
So hatte der Erzbischof von Mainz, Peter von Aspelt, den Konkurrenten um die Herrschaft über die Mudauer Cent ausgeschlossen.
Im Jahre 1336 läßt sich zwar ein Schenk mit „der Cent und dem Gericht zu Mudau“ durch den Bischof Otto von Würzburg nochmals belehnen3, als wäre der Verkauf im Jahre 1318 unwirksam gewesen. Aber schließlich ist die Mudauer Cent, die Dörfer Mudau, Limbach mit der Burg, Scheringen und viele andere unter der uneingeschränkten Herrschaft des Erzstifts Mainz, 500 Jahre lang, bis ins Jahr 1803.
Was unter dem Begriff „Mudauer Cent und Gericht“ im 14. Jh. alles zu verstehen ist, erfahren wir erst aus späteren Urkunden: 1495 hören wir etwas über den Umfang des Mudauer Centbezirkes und die Verwaltungsgliederung im Mainzer Erzstift. Damals beschloss der Reichstag in Worms zur Abwehr der Türkengefahr die Erhebung eines „gemeinen Pfennigs“. Nach den im Stadtarchiv zu Frankfurt liegenden Akten über den Einzug dieser ersten von jedermann zu zahlenden Reichssteuer, bildete die „Obere Cent“ mit dem Mittelpunkt Mudau zusammen mit der „Unteren Cent“ um Amorbach das Amt Amorbach. Für den Bereich der Finanzverwaltung unterstand die „Obere Cent“ der Kellerei Amorbach. Die Cent Mudau umfasste damals 27 Orte. In elf Dörfern war der Erzbischof auch Dorfherr, 16 weitere hatten andere Dorfherren, gehörten also nur mittelbar zur Cent.
1573: Nach dem „Verzaichnus aller Stätt, Dörfer, Weyler und Hoeff, so dem Hochwürdigsten, dem Ertzbischofen und Churfürsten zue Maintz … zustendig“ zählte die Cent Mudau in den 27 bekannten Orten, zu denen nun noch Schöllenbach erstmals genannt wurde, 669 Centmänner. In „Limbach nebst den beiden Scheringen“ wurden 51 gezählt4, was hier auf eine Bevölkerung von ca. 270 Menschen schließen lässt.
Erst im Amorbacher Jurisdiktionalbuch von 1668 erfahren wir über die Rechtsverfassung der Cent Mudau genaues:
Die Cent Mudau war Gerichtsbezirk. Im Namen des Erzbischofs und Kurfürsten von Mainz sprach der Centgraf im Centgericht zweimal im Jahr Recht, gewöhnlich nach Ostern und Michaelis oder auch aus unaufschiebbaren Gründen zu einem anderen Termin. Das Gericht wurde im Beisein der kurmainzischen Beamten aus Amorbach und der Schultheißen der zur Cent gehörigen Dorfschaften nach altem deutschem Brauch im Freien unter der Linde beim Rathaus in Mudau abgehalten. Dem Centgrafen als Vorsitzendem zur Seite saßen 14 Centschöffen oder Urteilsfinder. Sie wurden vom Centgrafen auf Lebenszeit immer aus dem Ort berufen, in dem ein Centschöffe durch Tod ausgeschieden war. Vom Keller zu Amorbach wurden sie dann durch Eid verpflichtet. Das Centgericht war für die sog. hohe Gerichtsbarkeit oder Blutgerichtsbarkeit zuständig, d. h. die in der Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. (1519-1556) näher bestimmten Verbrechen wie Mord, Notzucht, schwerer Diebstahl, Zauberei, Meineid, Gotteslästerung, Landfriedensbruch u.a.m. mußten vor diesem Gericht verhandelt werden. Der Centgraf überwachte den Strafvollzug, meist Geldbußen oder Gefängnisstrafen im Mudauer Arrest. Falls das Gericht für ein todeswürdiges Vergehen die Todesstrafe ausgesprochen hatte, musste im 18. Jahrhundert das Urteil durch das kurmainzische Hofgericht in Mainz bestätigt werden. Die Verurteilten wurden dann im Beisein der Gerichtspersonen und einer schaulustigen Menge auf dem Gewann Galgen durch den Scharfrichter gehängt oder einer anderen Todesart zugeführt. Die letzte Hinrichtung soll in den 1760er Jahren gewesen sein.
Die Cent war auch Wehrbezirk. Der Erzbischof und Kurfürst zu Mainz ließ durch seinen Centgrafen die waffenfähige Mannschaft im Bezirk ausheben und sie an den Waffen ausbilden. So wurden im sog. Markgräfler Krieg die Unterthanen der Cent Mudau durch den Amtmann, den Keller, den Centgrafen und einen Hauptmann Scheudenat am 15./16. September 1554 in Mudau gemustert und der dritte Teil von ihnen zum Kriegsdienst einberufen. Aus Scheringen waren es 10 Mann: Wendel Schatz, Debalt Schmidt, Hans Eckhart, Hans Kneller und Peter Grimlich wurden zu den Büchsen eingeteilt. Lenz Föer und Debalt Heffner sollten mit Langspießen ausgerüstet werden. Peter Weiß, Michel Norpel und Debalt Burrawe waren Hellebarden zugeteilt. Außerdem sollten die Scheringer einen Harnisch in der Gemeinde vorhalten. Drei Personen aus dem Dorf wurden gezogen, Lenz Föer und Debalt Heffner, die Langspießträger, sind in der Liste gekennzeichnet5. Ob sie aus dem Krieg wieder gesund zurückkehrten? In Friedenszeiten konnte die Mannschaft auch zur Verfolgung gemeingefährlicher und verdächtiger Elemente eingesetzt werden.
Der Centgraf hatte auch die Erdbefestigung um den Ort Mudau und den sog. Heerhag, eine Wall- und Grabenanlage, das den Kernraum der Cent in einem weiten Rund umfasste, instand zu halten. Zu diesem mittelalterlichen Sicherungssystem in unserem Raum gehörte auch eine Straßensperranlage an der sog. Hohen Straße bei Waldhausen, von der es 1668 im Juridiktionalbuch heißt: „Der Orts befindet sich ein Landgraben beym Haußemer See anfangendt, stoßt biß an Scherringer Gemarkung an den Waldt, denselben ist die ganze Centh Mudau außzuwerfen und zu erhalten schuldig, und ist dessen Braite und Tiefe 5 Schuh (ca. 1,50 m)“6. Der Centgraf war also berechtigt zum Unterhalt der Centeinrichtungen von den Centuntertanen eine ungemessene Fron zu verlangen, d. h. er konnte sie zu zeitlich uneingeschränkter Arbeit heranziehen. Aus der Cent leitete sich auch das Recht und die Pflicht für das Kurfürstentum ab auf bestimmten wichtigen Fernverkehrsstraßen für die Sicherheit bedeutender Persönlichkeiten Sorge zu tragen. Wie zum Beispiel nach dem Jurisdiktionalbuch der Schultheiß von Limbach mit den Centmännern aus Limbach und Scheringen bei der Alten Limbach hohe Reisende zum Geleit empfing.
Die Cent war auch Finanzbezirk. Aus der Steuerliste des Jahres 1495 sehen wir, dass die Cent auch als untere landesherrliche Finanzbehörde tätig wurde. Die Centuntertanen mussten einmalige Abgaben und Steuern, vornehmlich die Kriegssteuer – hier die Türkensteuer – an die Cent entrichten. Auch die immer häufiger werdenden regelmäßigen Landesabgaben, Schatzungen genannt, weil sie auf der Grundlage von Schätzungen des Vermögens oder des Einkommens umgelegt wurden, gingen an die Cent. Das Ungeld, eine Steuer auf Nahrungsmittel und Getränke, wurde auch über die Cent erhoben. Schließlich ist auch noch der Zoll in diesem Rahmen zu erwähnen, den man an der Zollstelle auf der Schloßauer Gemarkung auf Handelwaren für das Kurfürstentum forderte.