Hubert Zimmermann (Limbach)
Karl Frhr. vom und zum Stein (1757 1831) gilt als der Vater der kommunalen Selbstverwaltung. In preußischen Staatsdiensten begleitete er bis 1804 hohe Stellungen in der Verwaltung. Dann zog er sich nach Nassau zurück. Dort verfasste er 1807 eine Denkschrift, in der er das absolustische System für die herrschenden politischen Missstände verantwortlich machte. Auf Empfehlung Napoleons trat er wieder in preußische Dienste. Als Minister fand er damit die Möglichkeit zur Ausführung seiner großen Reformpläne. So kam es zur Aufhebung der Leibeigenschaft, der Gutsuntertänigkeit und ständischer Beschränkungen durch das Edikt vom 9. 10. 1807. Die Städteordnung vom 19. 11. 1808 gab allen städtischen Gemeinden die Selbstverwaltung in Sachen des Haushalts, der Steuern sowie des Schul- und des Armenwesens. Er entwickelte Pläne für eine Landgemeindeordnung, die Einführung von Kreistagen, Provinziallandtagen und Reichsständen. Doch diese Pläne konnte er noch nicht verwirklichen; denn die preußischen Adligen und Beamten fürchteten um ihre Vorrechte. Er trat in die Dienste des russischen Zaren. Aufgrund seiner Ratschläge verbündete sich der russische Zar mit dem Preußenkönig gegen Napoleon. Frhr. vom und zum Stein leitete während des Freiheitskrieges den Zentralverwaltungsrat für die von den französischen Truppen befreiten Gebiete. Am Wiener Kongress nahm er als Berater des Zaren teil. Er war scharfer Kontrahent des österreichischen Fürsten Metternich in der deutschen Frage; denn er lehnte eine Wiederherstellung der großen Zahl deutscher Einzelstaaten ab. Obwohl kein Anhänger der französischen Aufklärung und ein Gegner der späteren Phasen der französischen Revolution, übernahm er jedoch von ihr die Forderung nach persönlicher Freiheit und Rechtsgleichheit. 1816 zog er sich schließlich aus dem politischen Leben zurück. Seine Gedanken für die Entwicklung einer kommunalen Selbstverwaltung auch für die Landgemeinden und Kreise blieben lebendig. Ihre Ausformung und Gestaltung brauchte Jahrzehnte. Dem Obrigkeitsstaat mussten stückweise die Elemente einer kommunalen Selbstverwaltung abgerungen werden.
Mit diesem Beitrag wird anhand von authentischen Auszügen aus Akten des Gemeindearchivs der kleinen Odenwaldgemeinde Scheringen und des Generallandesarchivs in Karlsruhe versucht, einen Einblick in das Verhältnis Gemeindeselbstverwaltung und Obrigkeit zum Ende des 19. Jahrhunderts zu geben.
Im 19. Jahrhundert bildeten die Bezirksämter die unteren Verwaltungsbehörden des Großherzogtums Baden. Die Gemeinde Scheringen gehörte zum Bezirksamt Buchen. 1813 zählte Scheringen 183 Einwohner. 1925 waren es 265. Im Verlaufe von 112 Jahren wuchs das Dorf um 82 Einwohner. Die Verwaltungskraft des kleinen Ortes kann also nicht allzu groß gewesen sein. Umso größer jedoch der Einfluss der Obrigkeit, vertreten durch das „Großherzogliche Bezirksamt“, dem der „Großherzogliche Bezirksamtmann“ vorstand. Er hatte vornehmlich darüber zu wachen, dass es auf den Rathäusern möglichst geordnet zuging und das geltende Recht beachtet wurde.
So schrieb der Bezirksamtmann im Februar 1894 folgenden Brief:
„An sämtliche Gemeinderäte des Bezirks“ Wiederholt bin ich in letzter Zeit darauf aufmerksam gemacht worden und habe selbst die Wahrnehmung machen können, daß Mitglieder der Gemeinderäte Verwaltungsräte bei Wirtshausgesprächen und öffentlichen Besprechungen über Gemeindeangelegenheiten hinsichtlich der in den nicht öffentlichen Gemeinderats-, Armenrats- und Ortsschulratssitzungen gepflogenen Verhandlungen sich nicht diejenige Zurückhaltung auferlegen, welche zur Erhaltung des Ansehens der Gemeindeverwaltung und des Friedens unter den Gemeindebürgern unbedingt notwendig ist. Damit soll jedoch keineswegs ausgesprochen werden, daß sich die Gemeindebeamten an der Erörterung von Gemeindeangelegenheiten im Wirtshaus etc. gar nicht beteiligen solen. Dagegen bedarf es wohl keiner weiteren Begründung, wenn als Erfahrungssatz aufgestellt wird, daß die oft böswillige Bekanntgabe einzelner Vorgänge aus den Sitzungen der Gemeinderäte einer ersprießlichen Tätigkeit im Interesse der Gemeinden nicht förderlich ist, da sich mancher Gemeinderat im Hinblick auf etwa in dieser Richtung gemachte böse Erfahrungen hüten wird, seiner Anschauung in den Sitzungen uneingeschränkt Ausdruck zu geben, wie dies als unbedingt notwendig erachtet werden muß.
Zum friedlichen Einvernehmen unter den Gemeinderäten trägt das Hinaustragen von nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Erörterungen jedenfalls auch nicht bei. Wenn ein Gemeinderat oder mehrere Gemeinderäte mit ihrer Ansicht im Kollegium nicht durchkommen, so steht es ihnen frei ihrer Anschauung auch anderwärts Ausdruck zu geben, aber stets nur in einer Weise, welche sich mit den Pflichten eines Gemeindebeamten also des Vertreters der Gesamtheit der Bürger und nicht von Sonderinteressen vereinbaren läßt. Ich spreche die bestimmte Erwartung aus, daß diese amtliche Weisung in Richtiger Weise beobachtet und kein Anlaß zu dienstpolizeilichem Einschreiten gegeben wird. Diese Verfügung ist in der nächsten Sitzung des Gemeinderats – Verwaltungsrats durch wörtliches Vorlesen den Gemeinderäten, Ratschreibern und Gemeinderechnern bekannt zugeben. Das Schiftstück ist den Generalakten der Gemeinderegistratur anzuschließen.
Gr, Amtsvorstand: (unleserliche Unterschrift)
Von großer Wichtigkeit waren Ortsbereisungen des Großherzoglichen Bezirksamtes. Sie fanden in größeren Zeitabständen statt. Im Archiv der Gemeinde Scheringen sind keine Ortsbereisungsprotokolle vorhanden. Lediglich die Ankündigung einer solchen vom 19. Februar 1909 ist abgelegt. Bezeichnend ist der Text der Ankündigung der Prüfung:
No. 2370 Ortsbereisung betr.
Zur Prüfung der Gemeindeverhältnisse wird der Unterzeichnete am: Freitag, den 29. Januar 1909 vorm. 10 Uhr dort eintreffen. Auf dem Rathause haben sich der Bürgermeister, die Gemeinderäte, der Ratschreiber, Gemeinderechner, Ortsbaumwart und sämtliche Gemeindebediensteten unter Mitbringung ihrer Tagebücher, Dienstweisungen, Dienstauszeichnungen etc. einzufinden. In der Gemeinde ist bekannt zu machen, daß Wünsche und Beschwerden in der Zeit von 11 1/2 — 12 Uhr vormittags vorgebracht werden können.
Auch den Herren Lehrern ist vom Eintreffen des Unterzeichneten Kenntnis zu geben.
Ein Verzeichnis der Gemeindebeamten und Gemeindebediensteten mit Angabe des Dienstalters, des Tages der letztmaligen Verpflichtung und des Betrags der Gehaltsbezüge ist bei der Ortsbereisung vorzulegen. Auch ist ein Verzeichnis vorzulegen, aus dem die Zahl der in dortiger Gemeinde in den Jahren 1900— 1909 vorgekommenen Geburts und Todesfälle ersichtlich ist.
Weiter ist ein Verzeichnis der Ortsarmen unter Beifügung der Art und Weise der gewährten Unterstützung bereit zu halten.
Der Empfang dieser Verfügung ist umgehend hierher anzuzeigen.
Der Großh. Amtsvorstand: (unleserliche Unterschrift)
Im Generallandesarchiv konnten die sehr umfangreichen handschriftlich angefertigten Protokolle vom 27. Mai 1879, 25. Oktober 1894 und 31. Januar 1906 eingesehen und fotokopiert werden.
Ich will versuchen, soweit lesbar, über die damalige Zeit Aufschluß gebende Teile der Protokolle wiederzugeben.
Die Gemeinde war verantwortlich für die Feldhut. Im Regelfall versah diese ein besoldeter Feldhüter. Um die Besoldung zu sparen übertrug der Gemeinderat die Feldhut 2 ehrenamtlichen Feldhütern. Offenbar waren diese aber nicht besonders aktiv. Denn 1879 stellte der bereisende Amtmann fest, dass dies ein unhaltbarer Zustand sei. Die Gemeinde habe ja keine Einnahmen aus der Feldhut. Es wurde an Ort und Stelle verfügt, dass ein besoldeter Feldhüter zu bestellen ist. Der Waldhüter erklärte sich sofort bereit, dieses Amt zu übernehmen, wenn er angemessen besoldet werde. Für die Waldhut erhielt er die Hälfte der angefallenen Gebühren. Offenbar auch nicht viel, denn wer legte sich auch schon damals gerne mit den lieben Mitbürgern an.
Dem Wunsch des Gemeinderats um Aufhebung der Stelle des Nachtwächters wurde schließlich mit der Einsicht entsprochen, dass dadurch die Gemeindekasse etwas entlastet werde. Sollte jedoch in dem Dorf, dessen Häuser weit auseinander lagen, etwas zur Nachtzeit geschehen, dann müsse die Nachtwache wieder eingeführt werden.
Um die Registratur war es damals nicht besonders gut bestellt. Es wird zum „wiederholten“ Male angemahnt, die öffentlichen Blätter ordentlich abzuheften und zu binden. Bis Jahresende ist zu berichten, dass es keine „fliegenden“ Blätter mehr gibt. Ähnlich muss es auch mit den Sitzungsprotokollen des Gemeinderats gewesen sein, sofern überhaupt welche angefertigt wurden. Es erfolgte auch eine ausführliche Belehrung darüber, welche Mindestanforderungen an eine Sitzungsniederschrift zu stellen sind.
Bemängelt wird, dass der neu eingestellte Gemeinderechner Scheuermann nur unvollständig über die von ihm zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen aufgeklärt ist. Die Aufklärung erfolgte nun sofort.
Offenbar fanden die Ortsbereisungen in längeren Zeitabständen statt. Dies lässt sich aus folgender Bemerkung über den Gemeindehaushalt schließen:
„Die Rechnung seit 1869 ist abgehört. Der Haushalt ist im allgemeinen in Ordnung.“
Die hier abgedruckte Rechnung des Jahres 1868 gibt den Einblick in den damaligen Gemeindehaushalt.
Im Abschnitt IV befasst sich das Bereisungsprotokoll mit den einheimischen Nahrungsquellen wie die Landwirtschaft, Tierzucht u. a. Hierüber vird an anderer Stelle dieser Schrift ausführlich berichtet.
Unter dem Abschnitt „Polizei“ werden u. a. folgende Mängel festgestellt:
Georg Joseph Eichhorn und Ludwig Schäfer besitzen ein Wohngebäude, dessen rechte Giebelwand sehr feuergefährlich und überdies noch dem Einsturz nahe, lebensgefährlich ist. Das Bürgermeisteramt erhielt die Anweisung, die Eigenthümer zu veranlassen, binnen 14 Tage die Gefahr zu beheben. Falls dies nicht erfolgt, muss die Gemeinde dies hernach auf Kosten der Eigentümer machen lassen. Der Vollzug ist dem Bezirksamt nach Ablauf der Frist mitzuteilen.
Für 4 Volksschulkinder hat die Gemeinde 2 Zimmer im Hause des Valentin Gramlich angemietet. Der Boden im vorderen Zimmer ist durchlöchert, beide Räume sind rauchgeschwärzt. Der Missstand ist sofort zu beheben. Im selben Hause lebt eine hilflose und pflegebedürftige 72jährige Bürgerwitwe. Die Gemeinde wird aufgefordert, der Witfrau das Armenrecht zu gewähren und für ihre Betreuung zu sorgen. Über das Geschehene ist binnen 4 Wochen zu berichten.
Das Treppengeländer im Schulhaus ist gebrechlich und könnte leicht ein Unglück entstehen. Das Schulzimmer ist ohne Luft und der Boden des Abtritts für die Schulkinder durchlöchert. Binnen 14 Tagen sind die Missstände zu beheben und über den Vollzug zu berichten.
Zum Schluss berichtet der Bereisungsbericht, dass die Wege durch Oberscheringen von Wassermassen ausgewaschen und übel zugerichtet sind. Es wird ins Detail gehend angeordnet, wie die Feldwege in Ordnung zu bringen sind.
Recht aufschlussreich ist der Bericht über die Ortsbereisung vom 25. Oktober 1894. Er beginnt mit folgender Einleitung:
„In Begleitung des zuständigen Bezirksrats Fichtel von Bödigheim hat man heute die Ortsbereisung in Scheringen vorgenommen, hauptsächlich auch zu dem Zwecke, um mit dem Gemeinderat wegen häufiger Zwistigkeiten zu verhandeln. Die Trennung der Gemeinde in zwei Ortsteile bedingt auch eine Spaltung bei Vertretung der Gemeindeinteressen; in Oberscheringen wohnen vermögliche Landwirte, dagegen sind die Bewohner von Unterscheringen meist ärmere Leute. Ein weiteres Trennungsmoment ist in der Zuteilung des einen Ortsteils zur Kirchengemeinde Limbach des anderen zur Filialgemeinde Waldhausen gegeben.“
Es wird beklagt, dass der Bürgermeister zu nachgiebig sei. Er habe deshalb keine geschlossene Anhängerschaft, weshalb der Gemeinderat zeitenweise auch nicht nach ihm frage. So habe dieser auch Sitzungen ohne Bürgermeister abgehalten. Es fehle eine klare Regelung darüber, wer nach der Hofübergabe einen eigenen Haushalt führe und damit berechtigt ist, bei der Verteilung des Bürgernutzens berücksichtigt zu werden. Das habe innerhalb des Gemeinderats zu lebhaftem Streit geführt. Bei der vor einigen Wochen stattgehabten Schulprüfung durch den Kreisschulrat fehlten sämtliche Gemeinderäte; sie wurden deshalb mit einer Geldstrafe belegt.
Auch in anderer Hinsicht ist das Verhalten der Gemeinderäte ein nicht richtiges. Und dann wörtlich aus der Niederschrift:
„Es ist ja nicht zu leugnen, daß die Vermögensverhältnisse der Gemeinde Scheringen und ihrer Einwohner nicht gerade günstig sind. Daran sind aber nicht blos die schlechten Zeiten für die Landwirtschaft sondern auch der Mangel an Rührigkeit schuld. “
Eine Begleiterscheinung dieser Zurückhaltung ist ein ewiges Jammern über die hohen Umlagen. Dabei haben sämtliche Landwirte Privatwald, bekommen eine Bürgergabe und stellen sich somit besser als in vielen anderen Gemeinden in ähnlicher Lage. Man hat heute, unterstützt von dem Bezirksrat Fichtel die Gemeinderäte eindringlich verwarnt und sie aufgefordert, durch eigenes Vorgehen den übrigen Gemeindeangehörigen ein gutes Beispiel zu geben und einen gesunden Fortschritt anzubahnen. Der Bürgermeister wurde ermahnt, sich durch energisches Auftreten Autorität zu verschaffen.
Die Gemeindebediensteten sind sämtlich erschienen. Der Ratschreiber gibt sich jetzt etwas mehr Mühe. Bei seinen schriftlichen Arbeiten lässt sich noch Immer eine große Flüchtigkeit beobachten. Es wird Klage geführt wegen der ungenügenden Unterbringung der Grundbücher, des Vermessungswerkes, der Gesetzes- und Verordnungsblätter.
Dem Gemeinderat und Gemeinderechner Frank wird bescheinigt, dass er offenbar der intelligenteste der Gemeindevertreter sei. Trotz des Mangels an barem Geld hat er keine Rückstände. Hingegen ist man mit dem Feldhüter überhaupt nicht zufrieden. Interessant ist folgende Feststellung: „Die Gemeindefinanzverwaltung leidet nur an der allzu großen Sparsamkeit. Die Armenlast ist keine unbedeutende, weshalb in diesem Jahr ein Zuschuss aus dem Dispositionsfonds des Gr. Landeskommisärs bewilligt wurde.“ Das Protokoll befasst sich dann im einzelnen mit der Lage der Ortsarmen.
Die Wasserversorgung ist vorerst genügend, denn der Brunnen beim Schulhaus liefert viel und gutes Wasser.
Nach wie vor sind die Feldwege in schlechtem Zustand. Die Anstellung eines Wegwartes wurde unterlassen. Es kann nur eine Besserung eintreten, wenn für Wasserablauf gesorgt und regelmäßig Schotter eingeworfen wird. Durch Oberscheringen zieht der in Kreispflege befindliche Gemeindeweg Laudenberg — Waldhausen. Um ihn ganz in Kreispflege zu übernehmen, müssen auf den Gemarkungen Scheringen und Waldhausen Verbesserungen vorgenommen werden. Der Aufwand für Scheringen beträgt 1.200,— M, deren Aufbringung der Gemeinderat heute zustimmte.
Gegen die Vieh- und Hagelversicherung besteht Abneigung. Wegen zweier Brände hat sich allerdings die Zahl der Feuerversicherten schon vermehrt.
Das Protokoll schließt mit einigen Empfehlungen und Bemerkungen wie z. B.:
- Der Gemeinderat möchte einen ziemlich ertraglosen Schulacker am Weg gegen Laudenberg verkaufen.
- Der von einem Mannheimer Händler gekaufte Mantel für den Ortsdiener ist schlecht ausgefallen.
- In dem Anzeigenbuch des Feldhüters finden sich ein vom Aktuar Keck unterzeichneter Eintrag in Bleistift, was unzulässig ist.
- Johann Valentin Makamat, geb. am 23. März 1850 in Robern, hat in Scheringen die erste Quittungskarte liegen. Er ist seit längerer Zeit fort und soll in Heidelberg sitzen.
- Die Rinne über die Straße in Unterscheringen in der Nähe des dortigen Brunnens ist für den Verkehr sehr hemmend, sie sollte durch einen Dohlen ersetzt werden.
Der Abschluss lautet: „Beschluss“
- Auszüge wie angestrichen fertigen
- Kostenverzeichnis. Abfahrt nachmittags 1/2 1 Uhr und Rückkehr Abends 9 Uhr.
Großh. Bezirksamt gez. Lind
Am 31.Januar 1906 fand wiederum eine Ortsbereisung statt. Von den 20 Seiten des handgeschriebenen Bereisungstagebuches sind allein 8 Seiten der Landwirtschaft und der Viehzucht gewidmet.
Die Gemeindeverwaltung bekommt dieses Mal eine günstigere Beurteilung. Dem Bürgermeister wird bescheinigt, dass er sich rechtschaffen um das Gemeindewohl bemüht. Doch die Bevölkerung bereite ihm solche Schwierigkeiten, dass er manches Mal richtig entmutigt sei und sein Amt an den Nagel hängen möchte. Bei allen Gemeindeangelegenheiten von Bedeutung mache sich der Gegensatz zwischen dem „reicheren Oberscheringen“ und dem „ärmeren Unterscheringen“ bemerkbar. Oftmals machten die Bürger von Unterscheringen denen von Oberscheringen einen Strich durch die Rechnung. So war es auch, als sich der Bürgermeister bemühte, dass bei der Planung der Eisenbahnlinie Mosbach-Mudau eine Bahnstation nach Scheringen komme und deshalb bereit war, zum Bau einen Beitrag zu leisten. Der Antrag des Bürgermeisters wurde abgelehnt. Als die Bürger aber merkten, dass nun die Bahn weit an Scheringen vorbei fahren wird, wollten sie den Beitrag bewilligen. Doch der Zug war inzwischen an Scheringen vorbei gefahren, die Bahntrasse wurde jetzt nicht mehr geändert.
Dann aber, nachdem das Kind im Wasser liegt wird beklagt:
„Der Postbote sollte künftig nicht mehr der Poststelle Waldhausen sondern Limbach unterstellt sein. Der Limbacher Postbote versorge ja auch Laudenberg und da läge es doch nahe, dass er auch Scheringen betreuen könne. Auch in der Eisenbahnfrachtgutzustellung gäbe es Unzulänglichkeiten. Komme Frachtgut in Limbach an, dann werde per Postkarte der Empfänger benachrichtigt. Die Karte laufe dann über Mosbach – Eicholzheim – Waldhausen. Dadurch verzögere sich die Benachrichtigung erheblich.“
Der Gemeinderat sei kein Abbild der Bürger. Er macht einen uneinheitlichen Eindruck. Einzelnen Gemeinderäten wird namentlich vorgehalten, dass sie unvernünftig seien und viel schreien. Der Ratschreiber und der Gemeinderechner werden ob ihrer Amtsführung gelobt.
Die finanzielle Lage der Gemeinde ist zur Zeit wenig günstig, da die Schulhausbauschuld und der Anteil am Kirchenbau in Waldhausen zu verzinsen und zu amortisieren sind. Das Schul- und Rathaus kostete 22.000 M, von den 12.500 M noch zu bezahlen sind. Das Oberschulamt gab einen Zuschuss von 6.000 M und für das alte abgängige Gebäude 900 M, die Gemeinde erhoffe jedoch noch einen weiteren Zuschuss.
Vom Kirchenbauaufwand entfallen auf die Gemeinde 2.000 M. Wie bei den anderen Gemeinden auch, wurde mit der Kirche vereinbart, dass jährlich 100 M Kapital getilgt werden. Um dieses aufzubringen, muss allerdings die Gemeindeumlage um 1,12 Pfg. erhöht werden.
Die Haupteinnahmequelle der Gemeinde war der Gemeindewald, die in diesem Jahr recht günstig war.
Mit der Situation in der Schule ist der Bezirksamtmann im wesentlichen zufrieden. Der neue Hauptlehrer Bier aus Eicholzheim wird als sehr tüchtig, allgemein beliebt beurteilt, ein Mann mit angenehmen Umgangsformen.
Die Wasserversorgung wird bemängelt. Während Unterscheringen zwei öffentliche Brunnen habe, habe Oberscheringen nur einen am unteren des Dorfes. Dieser laufe bei nassem Wetter nicht nur trüb, sondern habe selbst stinkendes Wasser, das nicht einmal das Vieh trinke geschweige denn Menschen trinken können. So wird letztlich die Forderung erhoben, die im Elztal entspringende Quelle mittels eines Pumpwerks nach Oberscheringen zu heben und von dort über Hausleitungen in das gesamte Dorf zu verteilen. Man geht davon aus, dass dieser Gedanke immer mehr Anhänger finden wird.
Unter dem Abschnitt „Gemeindebedienstete“ werden die Klagen bzw. Anregungen derselben ausführlich behandelt. Der Wald- und Feldhüter stellt fest, dass die auf steinigem, armen Flachboden angelegte Gemeindeobstanlage sich nur dann entwickeln und einen Ertrag bringen kann, wenn mit Thomasmehl und Kompost gedüngt wird. Der Viehbeschauer beschwert sich darüber, dass die Viehhändler die Gebühren für das Gesundheitszeugnis nicht bezahlen, sondern dieselben den Tierbesitzern am Kaufpreis abziehen.
Dem alten Polizeidiener Eichhorn wird bescheinigt, dass er seinen Dienst und die ihm übertragene Feldhut vorbildlich versehe. Er gäbe manchem Jungen ein Vorbild. Er beklagt sich, dass sein „Feierabendbieten“ von den beiden Wirtschaften im Ober- bzw. Unterdorf wenig beachtet werde. Der Leichenschauer ist krank, der Abdecker in Limbach und die Hebamme in Waldhausen, so wird festgehalten. Beim Rundgang durchs Dorf ergaben sich keine Anstände bis auf diese: „An einer Scheuer des Bürgermeisters im Unterdorf nächst der Straße nach Limbach ist das Fachwerk herausgedrückt. Die Wand ist zu reparieren am besten zu schindeln.“
Oberamtmann Kamm legte dann seine Niederschrift dem Gr. Landeskommissär geziemend mit dem Vermerk vor, dass er von 8,0 Uhr morgens bis abends 8,0 Uhr mit Amtswagen in Scheringen war.