Scheringen

Auswanderung

Wolfgang Schnetz

Schon seit Urzeiten sind Menschen auf der Wanderschaft. Ganze Völker und Stämme zogen aus angestammten Regionen weg und ließen sich oft in weit entfernten Landstrichen wieder nieder, um dort eine neue Heimat zu finden. Neben diesen Völkerwanderungen gab es auch immer wieder Zeiten, zu denen sich kleinere Gruppen wie Siedlungsgemeinschaften, Sippen und Familien oder auch einzelne Männer und Frauen aufmachten, um sich einen neuen Standort zu suchen. Für diese Wanderungen gab es viele Gründe. Die wenigsten Menschen verließen ihre Heimat freiwillig, meistens wurden sie durch Naturkatastrophen, Überbevölkerung, Hunger oder Kriege gezwungen, sich irgendwo einen Platz zu suchen, an dem sie ihr Auskommen hatten.
Eine wichtige Auswanderungswelle, die ganz Deutschland und speziell den Südwesten erfasste, begann etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts und zog sich bis weit in unser Jahrhundert hinein. Der Hauptanteil der deutschen Auswanderer versuchte in dieser Zeit, in Amerika Fuß zu fassen. Besonders Nordamerika und dort die USA waren ein häufig angestrebtes Ziel. Untersucht man die Gründe, die oft ganze Familien veranlassten auszuwandern, stößt man auf Motive, die von der jeweiligen Zeit geprägt waren. Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts gab es einige Missernten, die zu einer großen Knappheit und damit zu immensen Preissteigerungen von Nahrungsmitteln führte. Die wirtschaftliche Not wurde noch verstärkt durch einen enormen Bevölkerungszuwachs. Das ging soweit, dass man, gemessen an den damaligen Verhältnissen, von einer Überbevölkerung in Deutschland sprechen kann. Zu den genannten existentiellen Bedrohungen kamen noch miserable politische Zustände, die, ausgehend vom deutschen Südwesten, eine Revolution auslösten. Der Aufstand wurde niedergeschlagen und hinterließ politisch Verfolgte, die im Land nicht mehr erwünscht waren.
Wirtschaftliche und politische Notlagen waren damit ein fruchtbarer Boden für den Gedanken auszuwandern. Begünstigt wurde er noch durch abenteuerliche Berichte, die die Zustände in Nordamerika verherrlichten und die USA als „Gelobtes Land“ erscheinen ließen.

Lieder und Aussagen, wie sie im Folgenden als Auszüge zitiert werden, verstärkten diesen Eindruck.

Die kindliche Idee hat aufgehört, dass man in Amerika sofort am Strande die Taschen mit Gold füllen könne: aber Eines verheißt es dem besonnen Auswanderer unstreitig: hohe Freiheit und Sicherung leiblichen Wohlstandes in einem Grade, von dem Europa keine Ahnung hat.

(Gottfried Duden)

Denn die Freiheit ist verloren in dem ganzen Europa, darum Brüder, lasst uns reisen nach Amerika!

(Auswandererlied)

Es hat ein Bauer zwei Söhne erzogen und ein braves Töchterlein, Er teilte ihnen sein Vermögen, gab der Tochter auch ein Teil. der erste sprach: Jetzt reis i fort, jetzt reis i an ein ander Ort. Jetzt reis i aus dem Land Europa und geh es nach Amerika.

(Auswandererlied)

Jetzt will ich meinem Bruder schreiben er soll nicht mehr in Deutschland bleiben; er soll verkaufen, was er hat, soll ziehen nach Amerika!

(Auswandererlied)

Aber der Anstoß zur Auswanderung kam zunächst auch von offizieller Seite. Viele Gemeinden übernahmen die Kosten für die Auswanderung ihrer Armen, weil die Unterhaltung des Armenhauses oft teurer kam. Andere Orte versuchten auf diesem Weg unliebsame Sträflinge loszuwerden. Sie versprachen ihnen die Freiheit und trugen die Kosten für die Überfahrt, wenn sie bereit waren, nach Amerika auszuwandern. In unserer nächsten Umgebung wurden unter ähnlichen Umständen ganze Ortschaften (z. B. Rineck bei Muckental, Dollishof bei Adelsheim) zur Auswanderung veranlasst. 

War der Entschluss auszuwandern erst einmal gefasst, gab es einige Möglichkeiten, sich über die Vorgehensweise zu informieren. Umherziehende Werber, in den Städten ansässige Vermittlungsagenturen, Zeitungsanzeigen und persönliche Berichte von Auswanderern, die in Zeitungen abgedruckt wurden oder die aus Briefen an Angehörige zu entnehmen waren, waren Information genug, auch wenn sie oft nur die positiven Seiten darstellten und die negativen allzu gern vergaßen. Eine weitere Informationsquelle stellten auch die Wanderarbeiter dar, die sehr weit herumkamen und auf ihren Reisen so manches erfuhren. 

Um ausreisen zu können, musste man sich damals einen Reisepass oder einen Heimatschein ausstellen lassen. Zuständig dafür war zunächst die Gemeinde, dann das Bezirksamt oder das Landratsamt. Die Prozedur war allerdings nicht so einfach wie heute. Man musste sich von der Gemeinde Zeugnisse über einen guten Leumund ausstellen lassen. Außerdem wurde der Gemeinderat einberufen, der darüber zu beraten hatte, ob etwas dagegen sprach, dass der Antragsteller das Land verlässt. In den meisten Fällen wurde dem Antrag stattgegeben. Es kam allerdings auch schon einmal vor, dass man illegal auswanderte, um sich unangenehme oder zeitraubende Formalitäten oder gar eine Ablehnung zu ersparen. Wurde eine illegale Ausreise bekannt, wurde nach der betreffenden Person gefahndet und ihr Verschwinden öffentlich bekannt gemacht, mit der Aufforderung, sich zu melden oder zu begründen, warum man sich unerlaubt entfernte. Gleichzeitig wurde eine Strafe und der Entzug der Staatsbürgerschaft angedroht. In Scheringen sind drei illegale Auswanderungen bekannt. Zum einen die beiden Brüder Johann Anton und Johann Adam Schmitz, die nach 1846 ausgewandert sind und 1858 in einer Anzeige des Odenwälder Boten“ gesucht wurden. Zum anderen Heinrich Schnetz, der sich Anfang des Jahrhunderts absetzte und nachweislich in den USA landete.

Der Weg der Auswanderer führte zunächst in die großen Hafenstädte von Deutschland oder Holland. Dort versuchten sie ein Schiff zu finden, das sie nach Amerika bringen sollte. Oft genug dauerte die Suche nach einem geeigneten Schiff sehr lange und bis man Gelegenheit zur Überfahrt nach Amerika erhielt, war meist ein beträchtlicher Teil des ersparten und mitgebrachten Geldes weg. Viele Auswanderwillige verpflichteten sich deshalb dazu, die Kosten für die Schiffspassage nach der Ankunft in Amerika abzuarbeiten. Wie man sich leicht denken kann, wurde die Zwangslage dieser an sich schon armen Menschen von kaltschnäuzigen Geschäftemachern gründlich ausgenützt. Dies nahm solche Ausmaße an, dass man in den USA sogar von der „weißen Sklaverei“ sprach. Nicht alle Auswanderer hatten dieses Schicksal und viele, die es traf, konnten sich auch wieder aus den Klauen der Menschenhändler befreien. Sie hatten dann mit Nordamerika zwar nicht das Schlaraffenland erwählt, konnten aber zumindest in einem freien Land leben und sich ihren Lebensunterhalt recht und schlecht verdienen. Nach einer gewissen Anpassungszeit brachten es viele zu Ansehen und Reichtum und ihr Glück war wiederum Ansporn für Verwandte aus Europa, ihrem Beispiel zu folgen und auszuwandern. 

Dem Umstand, dass die Auswanderungswilligen einen Reisepass oder einen Heimatschein beantragen mussten, verdanken wir es heute, dass wir recht genau nachvollziehen können, welche Scheringer das Land von 1846 bis 1931 verlassen haben. Zumindest die „legal“ ausgewanderten dürften mit großer Wahrscheinlichkeit in der folgenden Liste aufgeführt sein. 

Zu vermerken bleibt noch, dass nicht alle aufgelisteten Scheringer als Auswanderer anzusehen sind, da manche nur einen kurzen Auslandsaufenthalt hatten und dann wieder nach Scheringen oder in die heutige Bundesrepublik zurückkehrten. Die Motive für die Ausreise waren meist identisch mit denen, die andere zur Auswanderung veranlassten. Man hoffte die schlechte wirtschaftliche Lage durch einen Arbeitsplatz im Ausland besser überstehen zu können. Die Arbeitssuchenden zog es aber nicht nur ins Ausland, auch die benachbarten Großstädte mit ihren Arbeitsplätzen in Fabriken und Haushaltungen waren Ziel vieler Scheringer. Nicht umsonst haben viele Scheringer verwandtschaftliche Beziehungen in Städte wie Mannheim und Heidelberg. Die Abwanderung in die Städte der näheren Umgebung begann im Odenwald gegen Ende des 19. Jahrhunderts und dauert eigentlich noch bis heute an.

 

Heinrich Schnetz und Margarete Schaffer um 1910 in Kalifornien.

1901 
Albert Oskar Emil, 29. 5. 1884 
Ziel unbekannt

1866 
Baier Valerian, 13. 7. 1848 
ledig, Nordamerika

1905 
Bechtold Franz Josef, 12. 2. 1888
Schweiz

1923 
Biehler Anna, 24. 9. 1902 
Schweiz

1900 
Brünner Maria Anna, 24. 9. 1902
Ottmarsheim/Elsaß

1923 
Bucher Alois, 2. 7. 1908 
Österreich

1870 
Bucher Augustin, 26. 3. 1853 
Nordamerika

1870 
Bucher Franz Valentin, 1. 9. 1850 
Nordamerika

1846-1860 
Eberhard Peter, 12 
Nordamerika

1867 
Fischer August, 10. 2. 1852 
Nordamerika

1911 
Frank Berta, 21. 2. 1890 
Ottmarsheim/Elsaß

1904
Frank Johann, 27. 9. ???
Exaten/Holland

1846-1860 
Frank Margaretha, 26 
K.: Franziska, 4 
Nordamerika

1903-1904 
Frank Otto, 2. 10. 1886 
Bäcker, ledig 
Nordamerika

1903 
Frank Otto, 17 
Bäckergeselle 
Feldkirch/Österreich

1931 
Frank Otto, 10. 4. 1910 
Schneider, ledig 
Schweiz

1872 
Frank Valentin, 2. 1. 1857 
Nordamerika

1922 
Frauenschuh Ottilie, 12. 12. 1898 
Baar/Schweiz

1846-1860 
Fritz Magdalena, Witwe 
K.: Genoveva, 9, Helena, 18, Karl, 15 
Nordamerika

1851 
Fritz Michael, 50, Taglöhner 
E.: Barbara, 50 
K.: Christina, 25, Ferdinand, 10, Josef, 23, 
Maria Anna, 18, Philipp, 2, Rosina, 15, 
Valentin, 5 
Nordamerika

1865 
Galm Franz Anton, 4. 4. 1841 
Nordamerika

1846-1860 
Gramlich Johann Valentin 
Bäckergeselle 
Osterreich

1883 
Gramlich Valentin, 23. 3. 1867 
13. 3. 1870 
Nordamerika

1883 
Gramlich Walter, 16, Bäcker
Nordamerika

1910-1911 
24. 4. 1877
Basel/Schweiz

1895 
Hamberger Alois, 13. 3. 1870
Zürich/Schweiz

1890 
 Heß Alois, 18. 1. 1873 
Schweiz

1881 
Heß Heinrich, 24. 5. 1864, ledig 
Nordamerika

1923 
Heß Rudolf Wilhelm, 6. 5. 1906 
Bäcker, New York/USA

1866 
Knapp Anton, 30. 7. 1848 
Nordamerika

1883 
Kraus Anton, 13. 6. 1864 
Nordamerika 

1865 
Link Gustav, 16, ledig 
Nordamerika

1888 
Link Hermann, 6. 11. 1871 
Schweiz

1873 
Link, Josefa, 50, Witwe 
K.: Karl, 12. 2. 1861 
Leopold, 19. 10. 1859 
Nordamerika

1880 
Link Karl, 12. 2. 1861 
Nordamerika

1893 
Link Peter Leopold, 8. 9. 1877 
Nordamerika

1866 
Link Wilhelm, 26. 5. 1847 
Nordamerika

1922 
Münch Berta, 16. 11. 1892 
Holland

1846—1860 
Münch Franz Martin, 20 
Nordamerika

1858 
Noe Franz Karl, 15. 2. 1835 
Nordamerika

1846-1860 
Noe Franz Mathias, 49 
K.: Maria 18 
Nordamerika

1851 
Noe Johannes, Taglöhner 
E.: Barbara 
K.: Anna Mari4 16, Franz Karl, 18 
Franz Valentin, Johann Josef, 21 
Margarete, 2, Rudolf, 12, Wilhelm 6 
Nordamerika

1893 
Schäfer Anton August, 24. 5. 1869 
Osterreich und Schweiz

1892 
Schäfer Karl, 30. 12. 1875 
Nordamerika

1866 
Schellig Martin, 15. 10. 1851 
Nordamerika

1904 
Scheuermann Elise, 16. 1. 1883 
Bern/Schweiz

1929 
Scheuermann Elise Maria, 5. 11. 1908
Schweiz

1866 
Scheuermann Franz Michael, 31. 10. 1851
Nordamerika

1930 
Scheuermann Ida, 21. 7. 1906 
Basel/Schweiz

1922 
Scheuermann Juliana, geb. Gramlich, 
5. 5. 1872 in Heidersbach 
Holland

1902 
Scheuermann Ludwig, 5. 4. 1874 in Basel 
Basel/Schweiz

1846-1860 
Schmitz Johann Adam 
Nordamerika

1846— 1860 
Schmitz Johann Anton, 38 
Nordamerika

1859 
Schmitz Johann Josef, 29. 3. 1824 
Leineweber 
Lautenbach/Kr. Ottweiler/Preußen

1926 
Schnetz Hermann, 31. 12. 1898 
Landwirt, ledig 
Ziel unbekannt

1923 
Schnetz Oskar, 4. 6. 1902, Kaufmann 
Nordamerika

1893 
Schnetz Otto, 25. 4. 1879 
Nordamerika

1868 
Schwab Barbara, 17. 3. 1846 
Nordamerika

1868 
Schwab Michael, 18. 11. 1849 
Nordamerika

1923 
Walter Hilda 18. 12. 1900 
Freiburg/Schweiz

1923 
Walter Lina 7. 1. 1906 
Freiburg/Schweiz 


Quellennachweis:
Bruno Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Band III, Stuttgart 1960 
Generallandesarchiv Karlsruhe, Anträge zur Erteilung eines Reisepasses oder Heimatscheines 
Aktenummern: 345/A 2005, 345/A 2051, 345/A 1985, 345/A 1303, 345/A 2007, 345/A 2008, 345/A 2009
Generallandesarchiv Karlsruhe, Liste der Auswanderer in Scheringen von 1846 bis 1931 
August Häffner, Der Dollishof, Schöckingen 
Henry Marx, Deutsche in der neuen Welt, Braunschweig 1983 
Hans Slama, Langenelz und der Mudauer Odenwald, Langenelz 1989 
Georg Volk, Der Odenwald und seine Nachbargebiete, Frankfurt 1984 
R. Hollerbach, Prof. Dr. Peter Assion, Die Charles- Haas-Story, Walldürn 1984 

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